Wie einfach ist es, sich der Kräfte Anderer zu bedienen, wie schwer - das Eigene in der verwirrenden Vielfalt der eigenen Möglichkeiten zu finden, zu leben und zu bewahren. Die eigene Kraft – um diese scheint es ein Mysterium zu geben. Zuallererst stellt sich die Frage: Habe ich denn überhaupt eine eigene Kraft? Etwas, das ganz zu mir gehört? Etwas, das nur zu mir gehört, obwohl ich doch nur ‚ich’ bin, nicht mehr aber auch nicht weniger? Ja, obwohl ich 'ich’ bin!
Auch ich habe meine eigene unverwechselbare Kraft. Sie steckt in jeder Zelle meines Körpers, ist in meiner DNA festgeschrieben, macht meinen Fingerabdruck einzigartig, unverwechselbar unter allen anderen. Ich habe den Auftrag, dieses unverwechselbare Eigene erst einmal zu erkennen. Aber dazu muss ich mich vorerst mit ihm ausprobieren dürfen, ohne gestört zu werden; denn im Maßstab der Anderen hat mein Eigenes möglicherweise noch keinen Platz, könnte auf Irritation und Ablehnung stoßen. Und so würde dieses zarte Pflänzchen sofort im Keim erstickt werden. Dieses zarte Pflänzchen des ganz Eigenen braucht zu allererst eine Phase des Erkannt-Werdens, des Betrachtens, des Wachsens in mir und von mir. Erst dann lässt sich die Frage beantworten, wie ich ihm auch in der Welt seinen unverwechselbaren Platz geben kann. Das aber erfordert Mut und Klarheit - und ist verbunden mit der Angst, nicht mehr dazuzugehören.
Denn die mir bewussten Verknüpfungspunkte mit der Gemeinschaft, die bis zu diesem Zeitpunkt gepasst haben und die mich gesichert haben, gehören nicht alle dazu. Es sind unzählige mehr, auf die wir aber keinen bewussten Zugriff haben, die das Risiko für etwas Neues ins Unkalkulierbare treiben. An der Stelle setzt das Eigene ein - hier zeigt sich, ob ich Vertrauen haben kann zu etwas Größerem, das mich führt. Ob ich mich dem ganz hingeben kann, wohin es mich auch immer führt - selbst, wenn es die größte Einsamkeit bedeuten würde, oder gar Vernichtung in dieser Welt. An dieser Stelle setzt die Lebensgefahr ein - genau hier wird mein existentieller Mut erforderlich.
Von innen nach außen. Im Außen besteht die Grenze zur Verknüpfung, da gibt es die Flächen, die mich mit der Außenwelt vereinen. Diese Verknüpfungspunkte und Flächen beinhalten noch am Wenigsten das ganz Eigene. Hier spielt oft Eitelkeit eine besondere Rolle - und das Bedürfnis, dazuzugehören. Die Gruppe, Familie, die uns geprägt hat, spielt die vorrangige Rolle - sowohl dabei, den Verknüpfungspunkt genau passend zu dieser Gruppe zu wählen (Kleidung, Verhalten, modische Accessoires, usw.), aber auch in bewusster Ablehnung zum prägenden sozialen Umfeld einen entgegengesetzten Ausdruck zu finden.
Der Vater von Henriette Küchler warnte seine Tochter vor dem Mann, den sie heiraten wollte: Samuel Hahnemann: 'Man heiratet nicht einen so genialen Geist'. Etwas ganz Eigenes ragt da heraus, ein eigener, schöpferischer Geist. Die Sorge des Vaters drückt sich in diesem Beispiel in besonderem Maße aus. Die Sorge, die Tochter könnte nicht mehr mit ihrer Herkunfts-Familie in der Außenwelt verknüpft sein, wenn das Eigene des Ehemannes sich so individuell nach außen ausdrückt, wie das bei Hahnemann der Fall gewesen ist. Es ist die Sorge, die Familie könnte aus der sichernden Gemeinschaft fallen.