Systemische Ordnungen zeigen deutlich, wie sehr unser traditioneller Blick auf die Familie im Sinne von Vater, Mutter, Kind heute begrenzt ist. Denn es gehören genauso die nicht lebenden Kinder dazu, wie die Partnerinnen und Partner aus früheren Beziehungen. Und natürlich diejenigen, die über Generationen Leben gegeben, aber auch genommen haben.
Erst wenn wir Familie so betrachten, sind wir eingebunden in die lebendige und kraftvolle Dynamik einer sozial vielschichtigen Großorganisation.
Auf dieser Ebene gibt es eine energetische Familie, die weit über die bekannten Familienmitglieder hinausgeht. Wir wissen aus der systemischen Forschung, dass die ausgeklammerten Menschen mit ihren Schicksalen im Familiensystem leben, mit Krankheiten, dem „Opfer-Sein“, ihren Talenten und schicksalhaften Strukturen. Irgendjemand der gesehenen Personen übernimmt diese Lebensstrukturen, manchmal im Sinne einer Bereicherung, oft aber auch Belastung. Wir tragen dann mehr, als nur das Eigene.
Gehören wir aber selber zu den Ausgeklammerten, tragen wir die Familie mit, zu der wir gehören, und gleichzeitig die Demütigung des Ausgeklammert-Seins. Nun wird Familie plötzlich kompliziert. Die Mutter liebt ihre Tochter, wird aber in ihr gleich mit ihren eigenen ausgeklammerten Themen konfrontiert, den Geliebten von ihr oder ihrem Partner, Menschen, die mal Freundinnen, Begleiter oder Unterstützerinnen waren. Der Vater liebt seinen Sohn, stößt in ihm dabei aber auf den ausgeklammerten Täter, der den Tod des Großvaters verursacht hat, der im Krieg gefallen ist.
Führen wir uns diese Dynamiken vor Augen, ist es fast ein Wunder, dass Familie im „Kleinen“ überhaupt noch funktionieren kann, ohne dass das ganze System explodiert.
Was brauchen wir dabei?
Aus meiner Sicht als Systemischer Therapeutin und Mutter von drei Kindern hilft die Vorstellung von Weite, Ganzheit und die Wachsamkeit für unsere Ausgrenzungen. Das bedeutet nicht, dass es keine Ausgrenzungen und Begrenzungen für unser eigenes Wohlergehen mehr geben wird. Aber es schafft in uns ein waches Bewusstsein dafür und ein liebevoll-anerkennendes Einbeziehen des Ausgegrenzten – wenigstens in unserer Vorstellung. Dabei zählen noch weitere Ordnungen, die ihre Kraft entfalten - nämlich eine Form von Hierarchie, die mit der Reihenfolge der Geburt und auch der Position als Eltern festgelegt ist. Das kann man sich vorstellen wie bei einem Brunnen mit mehreren Schalen, in dem das Wasser immer von oben nach unten fließt. Die Eltern geben, die Kinder nehmen und geben wiederum ihren Kindern. Auch für kinderlose Paare gilt die Verbindung zur Kindergeneration, gehören in der Weite der Energieverbindung doch alle zusammen.
Was aber, wenn Eltern pflegebedürftig werden und die Kinder plötzlich zu den Starken werden, die bestimmen?
Da ist es aus meiner Sicht wichtig, dass das pflegende Kind den Eltern gegenüber nie den Kinderstatus außer Acht lässt und den Eltern in ihrer Rolle als Lebensspender und Wegvorbereiter stets mit Respekt gegenüber tritt. Selbst dann, wenn sie nicht mehr für sich handeln können und zum hilflosen Kind werden. Denn sonst versiegt die Quelle und der Fluss des Lebens stockt.
Eine wunderbare Methode, die Weite im Fühlen und Denken übt, stammt aus der hawaiianischen Tradition und heißt „Ho’oponopono“. Die Hawaiianer nutzten es, um zwischenmenschlich „etwas in Ordnung zu bringen“, zur Aussöhnung und Vergebung. Ich übe damit, die Ausgeklammerten mit Liebe zu integrieren. Und so begegne ich dem Kind, das mir mit allen Ausgeklammerten entgegen tritt, mit diesen wirkungsvollen Sätzen aus dem pazifischen Raum:
„Ich liebe dich,
es tut mir leid,
bitte verzeih mir,
danke“
Diese Sätze, sehr schnell hintereinander wiederholt gesprochen, bereiten ein neues Denken und Fühlen vor. Und sind damit die beste Grundlage für eine lebendige Familie.